3/14/2025·
4 min Lesezeit
Armaghan Naghipour

Armaghan Naghipour

3/14/2025·
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Aussondieren: Der angekündigte Systembruch im deutschen Asylrecht

Anfang März haben Union und SPD ihr Sondierungspapier vorgestellt, mit dem sie nunmehr in ihre Koalitionsverhandlungen getreten sind. Das Papier offenbart einen fundamentalen Wandel im deutschen Asylrecht – mit drastischen Folgen für Schutzsuchende. Neben der angekündigten Aussetzung des Familiennachzugs und der Ankündigung der großen Rückführungsoffensive war es vor allem ein Satz, der Migrationsrechtler*innen aufhorchen ließ: 

Aus dem „Amtsermittlungsgrundsatz“ muss im Asylrecht der „Beibringungsgrundsatz“ werden.  

Was vor allem für Nichtjurist*innen recht technisch und typisch juristisch verklauselt klingen mag, ist schlichtweg ein Systembruch für das deutsche Asylrecht. Beginnen wir mit der Terminologie.

Amtsermittlung: Warum der Staat im Asylrecht bisher Beweise selbst suchen muss

Der Amtsermittlungsgrundsatz (auch Untersuchungsgrundsatz genannt) besagt, dass Behörden und Gerichte von sich aus – das heißt unabhängig vom Betroffenenantrag – alles Wesentliche zu einem Sachverhalt ermitteln müssen und gegebenenfalls auch Beweise zu sammeln haben, die im Interesse der Asylsuchenden liegen. Dies gewährleistet (jedenfalls in der Theorie) eine umfassende Prüfung des Asylanspruchs und soll vor Fehlentscheidungen schützen. Der Staat ist jedenfalls durch den Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet, den Sachverhalt auch dann zu ermitteln, wenn die Asylbewerbenden dies nicht in ausreichendem Maße tun können. Dies wird als konkretisierendes Verfassungsrecht einfachgesetzlich in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) geregelt. 

§ 24 VwVfG - Untersuchungsgrundsatz
(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Setzt die Behörde automatische Einrichtungen zum Erlass von Verwaltungsakten ein, muss sie für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Beteiligten berücksichtigen, die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden.
(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.
§ 86 VwGO
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Sinn und Zweck des Amtsermittlungsgrundsatzes ist vor allem auch, den Bürger*innen vor allem dann umfassenden Zugang zum Recht und Rechtsschutz zu gewähren, wo sie staatlichen Maßnahmen ausgesetzt sind, also ein Machtungleichgewicht vorliegt. 

Was bedeutet der angekündigte Übergang zum Beibringungsgrundsatz im Asylrecht?

Der Beibringungsgrundsatz ist ein Verfahrensgrundsatz aus dem Zivilprozessrecht, der besagt, dass das Gericht seine Entscheidung nur auf die Tatsachen und Beweismittel stützen darf, die von den Parteien selbst vorgebracht wurden. 

Das Zivilrecht verfolgt damit eine andere Logik als das Öffentliche Recht: Im Zivilrecht wird eher noch von einem Kräftegleichgewicht der Streitparteien ausgegangen, da man hier nicht dem Staat in seiner hoheitlichen Funktion gegenübertritt. Das mag mit Blick auf mächtige Großunternehmen sicherlich eine überkommene Vorstellung sein. In der Theorie geht es aber um eine wertgeleitete Fortwirkung der dem Zivilrecht zugrundeliegenden Privatautonomie (dem Recht, die privaten Rechtsverhältnisse im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG – allgemeine Handlungsfreiheit – nach eigener Entscheidung zu gestalten). 

Ein Übergang zum Beibringungsgrundsatz jedenfalls, bei dem die Asylsuchenden über § 15 AsylG für die Beibringung von Beweismitteln verantwortlich sind, würde zu erheblichen Benachteiligungen führen. Asylbewerbende sind grundsätzlich in einer überaus schwierigen Lage, wenn es darum geht, Beweismittel zu beschaffen. Sie haben oft keinen Zugang mehr zu wichtigen Dokumenten, können aufgrund von drohender Verfolgung ihre Herkunftsländer nicht mehr betreten, um Zeugen zu finden oder andere Nachweise zu sammeln. Naturgemäß bestehen neben mangelnden Kenntnissen über die hiesigen bürokratischen Abläufe häufig auch erhebliche Sprachbarrieren. Der Beibringungsgrundsatz kann daneben auch die Kosten eines Verfahrens erheblich steigern, wenn es darum geht, Gutachten oder andere Beweise in Auftrag zu geben. Kurzum: Die Verantwortung für die Beibringung von Beweisen würde Asylsuchende in eine noch schwierigere Position versetzen. Dabei sind sie es, die oftmals zutiefst traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Je vulnerabler die Personen (Frauen, Minderjährige, LSBTIQ), desto tiefsitzender die Traumata. 

Offenkundig hat man in der Eile des Gefechts zudem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht auf dem Schirm gehabt. Laut EuGH bilden die Aussagen von Schutzsuchenden lediglich den Ausgangspunkt des Prüfverfahrens. Häufig haben die Behörden besseren Zugang zu relevanten Unterlagen als die Antragstellenden. Es verstieße – so der EuGH weiter – gegen Art. 4 der Richtlinie 2011/95 davon auszugehen, dass es zwingend allein Sache der Antragstellenden ist, alle Anhaltspunkte darzulegen, die die Gründe für den Antrag auf internationalen Schutz belegen können (Rn. 58).

Auch das Bundesverfassungsgericht (Rn. 21 ff.) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Rn. 288 ff.) haben festgestellt: Der Zugang zu Recht muss effektiv gewährleistet sein – andernfalls bleibt er eine leere Floskel. 

Festzuhalten bleibt also, dass mit einer Einführung des Beibringungsgrundsatzes in das Asylrecht die sich anbahnende Regierung voraussichtlich einen verfassungswidrigen Dammbruch begehen würde und sich nur eins verspricht: Eine sinkende Zahl an Asylrechtsverfahren. Darüber hinaus dürfte klar sein: Ist diese Büchse der Pandora erst einmal geöffnet, wird ihr in Zukunft noch viel weiteres Übel entnommen werden. Das Naheliegendste wäre, dass sich die Übertragung des Beibringungsgrundsatzes fortan auch auf andere dem Staat „unliebsame“ verwaltungsrechtliche Streitigkeiten übertragen ließe. Was heute gegen Schutzsuchende angewandt wird, könnte morgen im Sozialrecht oder anderen existenziellen Verfahren drohen – mit weitreichenden Folgen für den Zugang zu Recht.

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